Das Ich im Sachbuch – darf man es nutzen?
Das Ich im Sachbuch – darf man es nutzen? Wir haben doch alle in der Schule gelernt, dass man das Ich aus Sachtexten heraushalten und durch das Passiv ersetzen muss. Gilt das denn auch für Sachbücher?
Bis heute wird an vielen Schulen und Fachbereichen von Universitäten gelehrt, dass ein Text, wenn er eine gute Note bekommen soll, im Passiv geschrieben werden muss. Das heißt, statt bspw.
Weil uns ihre Geschichte so sehr bewegte, beschlossen wir nachzuforschen.
muss dann dies im Text stehen:
Weil die Geschichte als sehr bewegend empfunden wurde, wurde beschlossen nachzuforschen.
Es soll tatsächlich Menschen geben, die das Passiv aus dem zweiten Satz gerne lesen und gut finden. Insbesondere in der akademischen Welt in Deutschland ist es wohl noch immer sehr gefragt. Und kommt es einmal nicht vor, wird der Text manchmal von vornherein in der Beurteilung herabgestuft. Weil er, in den Augen mancher, gar nicht wissenschaftlich sein kann, wenn er kein Passiv beinhaltet. Etwas, worüber Hunderttausende englischsprachige Wissenschaftler_innen allerdings nur milde lächeln können.
Passiv ist ungenau, unnötig distanziert und unlesbar
Denn die Lesbarkeit von Texten leidet massiv, wenn Sie das Passiv benutzen. Es ist ungenau („empfunden wurde“, „wurde beschlossen“ – von wem?), es ist unnötig distanziert und entspricht nicht der Art wie wir wirklich sprechen, was das Verständnis erschwert.
Das Passiv baut also Barrieren zwischen Text und Lesenden auf, die gar nicht da sein müssten. Es wirft Fragen auf und klingt so künstlich, dass es oft sehr anstrengend zu lesen ist. Außerdem verkompliziert und verlängert das Passiv einen Text, denn Sie müssen ja die Ungenauigkeiten in zusätzlichen Sätzen erläutern und erklären, was bei immer weiteren Passivkonstruktionen oft in grauenhaftes Geschwurbel ausartet.
Denken Sie an Ihre Zielgruppe!
Vermeiden Sie daher das Passiv in Ihrem Sachbuch – sofern Sie es für eine Zielgruppe veröffentlichen, die nicht ausschließlich hochwissenschaftlich arbeitet und/oder die Sie in erster Linie ein bisschen triezen möchten.
Fragen Sie sich in allen Zusammenhängen Ihr Buch betreffend, auch diesem, was Ihre Zielgruppe liest und braucht – nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich. Mehr dazu finden Sie auch in meinem Artikel „Die wichtigste Hilfe beim Schreiben? Die Zielgruppe eines Sachbuchs!“
Dass das Ich im Sachbuch bei einer Autobiografie seinen Platz hat, ist klar. Denn Leser_innen möchten in einer Autobiografie natürlich über das Ich, nämlich Ihre Person, Ihr Handeln, Ihre Erfahrungen und Ihre Gefühle lesen. Folgerichtig sollten Sie dann schreiben:
Ich habe etwas getan, das diese und diese Folgen hatte und diese Gefühle in mir (oder anderen) auslöste.
Und nicht:
Es wurde etwas getan, das Folgen hatte und Gefühle auslöste.
Oder, stimmen Sie zu?
Reale Beispiele machen ein Buch lebendiger und eindrücklicher
Aber nicht nur Autobiografien, sondern auch Ratgeber, Praxisbücher und erzählende Sachbücher können davon profitieren, wenn Sie sich selbst und Ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der Ich-Form mit einbringen. Sie machen ein Buch nicht nur wesentlich lebendiger, wenn Sie von der trockenen Theorie auch mal in die reale Praxis wechseln. Sie machen das Buch auch eindrücklicher für die Leser_innen.
Denn wir Menschen lernen nun einmal am liebsten von ganz realen, menschlichen Vorbildern, die so sind wie wir selbst. Deren Beispiele sind aber viel verständlicher und leichter nachvollziehbar, wenn sie so geschrieben sind, als würden Sie mit Ihren Leser_innen ganz persönlich zusammensitzen und ihnen davon erzählen. Würden Sie da distanziert im Passiv sprechen? Ziemlich sicher nicht.
Und falls Sie sich fragen, ob Ihr Sachbuch trotz „ich“ noch seriös klingt – ja, das tut es. Denn Seriosität hängt nicht davon ab, ob Sie im Passiv oder Aktiv schreiben. Sie hängt vielmehr von der Seriosität Ihrer Fakten und Ratschläge ab. Mag sein, dass einige Wissenschaftler_innen es verschmähen werden, aber ziemlich sicher gehörten die dann auch gar nicht zu Ihrer Zielgruppe.
Könnte „man“ die bessere Alternative zu „ich“ sein?
„Man“ ist nicht automatisch die bessere Alternative zu „ich“. Denn auch „man“ schafft eine Distanz zwischen Ihnen und Ihren Leser_innen, die die Wirkung Ihres Textes mindert. Sie kennen „man“ aus Berichten von Augenzeug_innen, denen das Geschehene zu nah ging oder die nie gelernt haben, über sich und ihre eigenen Gefühle zu sprechen, wenn sie sagen:
„Man war gar nicht darauf gefasst, dass man den Job so plötzlich verliert.“
Spüren Sie die Distanz? Ganz anders klingt da doch:
„Ich war gar nicht darauf gefasst, dass ich den Job so plötzlich verliere.“
Sofort sind wir viel näher an diesem Gefühl dran, das ein plötzlicher Jobverlust auslösen kann.
Die Distanz durch „man“ ist bei einem Buch größer als würden Sie persönlich vor der Leserin sitzen, denn Sie müssen versuchen, den gleichen Effekt über das Papier oder den Bildschirm zu erreichen. Das schaffen Sie viel besser mit „ich“ als mit „man“.
Das „Ich“ hat also im Sachbuch durchaus seinen Platz. Es bringt Sie und Ihre Erfahrungen, Erlebnisse und Ratschläge den Leser_innen näher. Es macht Texte leichter lesbar als das unpersönliche Passiv. Es macht sie verständlicher, unkomplizierter, lebendiger und eindrücklicher.
Machen Sie sich das zunutze – aber in Maßen. Denn ein Ich-Ich-Ich-Dauerwerbefeuer ist etwa genauso unbeliebt wie das Passiv.
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